Im Rahmen der Kommentierung zu § 55a VwGO in Sodan/Ziekow, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Auflage, 2010

Der vorliegende Cylaw-Report entstand im Rahmen einer Studienarbeit von Herrn Dipl.-Wirtsch.-Inform. Volker Sauer zur Unterstützung der Kommentierung zu § 55a VwGO in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 3. Auflage, demnächst.
CyLaw-Report XXIX öffnen ... »
Sauer, Volker/ Schmid, Viola
Veröffentlichungsjahr: 10/2009 | Letzter Stand: 23.12.2009
Verfügbar unter Creative Commons Attribution Non-commercial No Derivatives, 2.5.

Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 16.07.2008 – VIII ZR 348/06 und vom 19.07.2007 – I ZR 191/04; Urteil des Landgerichts (LG) Bonn vom 19.07.2004 – 6 S 77/04; Urteil des LG Berlin vom 14.01.2003 – 15 O 420/02; Urteil des Amtsgerichts (AG) Bonn vom 25.03.2004 – 14 C 591/03

Der Gesetzgeber hat in den letzten Jahren das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geändert und die unerwünschte Zusendung von Werbung als wettbewerbswidrig qualifiziert (§ 7 Abs. 2 UWG). Darüber hinaus etabliert die Rechtsprechung in immer größerem Maße einen bürgerlichrechtlichen (BGB) Schutz vor unerwünschter Werbung. Bereits die einmalige Zusendung einer E-Mail mit Werbung soll einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb („sonstiges Recht“ im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB) darstellen. Von zentraler Bedeutung für die Durchsetzung der Verbraucherrechte nach UWG wie nach BGB ist die Kenntnis der Identität des Werbenden. Über diese Informationen verfügt regelmäßig der Provider – hier ein Mobilfunkunternehmen, über das unerwünschte SMS-Werbung versandt wurde. Die Entscheidungen unter anderem des BGH klären die durch die Einführung von § 13a S.2 Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) aufgeworfene Frage, ob ein Verbraucher einen Auskunftsanspruch gegen einen Provider hinsichtlich eines „SMS-Spammer“ auch dann geltend machen kann, wenn ein Verbraucherschutzverein oder ein Mitbewerber einen solchen ihm zustehenden Anspruch nicht geltend gemacht hat. Es stellt sich also die Frage, ob der Einzelne sich gegen den SMS-Spammer effektiv zur Wehr setzen kann oder ob in der Praxis nur die traditionell Klageberechtigten wie Mitbewerber oder Verbraucherschutzverbände (§ 8 Abs.3 UWG) einen Auskunftsanspruch nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) haben. Der Schutz vor SMS-Spam ist deswegen von Bedeutung, weil mobile Kommunikationsgeräte wie etwa Handys allgegenwärtig verwandt werden und es vermehrt zu unerwünschtem Empfang von Werbenachrichten kommt. Diese Werbestrategie ist für die Werbeindustrie insbesondere aufgrund der ubiquitären Erreichbarkeit vieler Rezipienten bei geringer Kostenbelastung von hohem wirtschaftlichem Interesse. Dieser Trend wird durch die Möglichkeit, SMS über das Internet kostengünstig zu versenden, verstärkt. Hinzukommt, dass der Rezipient gegenwärtig technisch nicht die Möglichkeit hat, präventiv den Empfang von SMS-Werbung zu filtern und zu blockieren – wie das etwa durch E-Mail-Spam-Filtern möglich ist. Letztlich steht das Recht auf Anonymität des Spammers wie desjenigen, der von keiner Werbung erreicht werden will, im vorliegenden Cylaw-Report im Hintergrund.

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 16.06.2009 – 2 BvR 902/06, des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Kassel vom 19.05.2009 – 6 A 2672/08.Z und des Verwaltungsgerichts (VG) Frankfurt vom 06.11.2008 – 1 K 628/08.F

Im Sachverhalt der Entscheidung des BVerfG nehmen die Ermittlungsbehörden Zugriff auf E-Mails, die nicht auf einem Rechner des Durchsuchten, sondern nur beim Provider gespeichert sind. Die Herrschaft des E-Mail-Account-Inhabers ist also nicht absolut, sondern von der Entscheidung des Diensteanbieters über die Preisgabe der Daten abhängig. Im Sachverhalt der Entscheidung des VG Frankfurts verlangt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) von einem Arbeitgeber, der die Privatnutzung des E-Mail-Accounts erlaubt hatte, die Vorlage der E-Mails seiner Arbeitnehmer. Auch hier behauptet der Arbeitgeber – ähnlich dem Provider – eigene Zugriffsoptionen auf die E-Mails der Arbeitnehmer zu haben und so das Andauern der in Art. 10 GG, § 88 TKG geschützten Telekommunikation.
Dieser CyLaw-Report beschäftigt sich also mit zwei E-Mail- Sachverhalten, die zunächst grundlegende Fragen zur Eröffnung des Geltungsbereichs von Art. 10 Abs. 1 GG stellen. In beiden Fällen stellt sich die Frage, wann der von Art. 10 GG geschützte Übermittlungsvorgang abgeschlossen ist. Also abstrakt formuliert: ob geteilte Zugriffsrechte zu E-Mails den Zugang von E-Mails vereiteln und der „Mitgewahrsam“ von Provider und Arbeitgeber das Fortbestehen einer in Art. 10 GG geschützten Telekommunikation begründet. Darüber hinaus enthalten die Entscheidungen wegweisende Aussagen zur Geltung des spezialgesetzlichen Zitiergebots (§ 88 Abs. 3 TKG), das verlangt, dass Befugnisnormen zur Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses dieses ausdrücklich zitieren bzw. erkennbar sein muss, dass der Gesetzgeber eine Abwägung mit Art. 10 GG vorgenommen hat.
Über die Fragen nach der Eröffnung des Geltungsbereichs von Art. 10 GG, der Reichweite des Zitiergebots des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG hinaus entwirft das BVerfG die verfassungsrechtlichen Konturen eines „Beschlagnahmerechts“ für E-Mails anhand folgenden Sachverhalts: Die Strafverfolgungsbehörden ordnen eine Durchsuchung der Wohnung des Verfassungsbeschwerdeführers B an. B selber ist nicht Beschuldigter einer Untreue bzw. eines Betrugs. Gegen ihn wird „nur“ ermittelt, weil er die zwei Beschuldigten dieser Vergehen kennt und Geldüberweisungen im Kontext des Betrugs- und Untreueverdachts über Konten erfolgten, zu denen B Zugriff hat. Bei der Wohnungsdurchsuchung wird festgestellt, dass B über einen PC verfügt. Die Ermittlungsbehörden interessieren sich für die E-Mails des B. Informationstechnologisch besteht in diesem dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegten Sachverhalt die Besonderheit, dass B seine E-Mails nicht auf dem lokalen Rechner in der Wohnung speichert, sondern die E-Mails beim Provider sowohl zwischen- als auch endgespeichert bleiben. B muss also eine Internetverbindung zum Provider herstellen, um von seinen E-Mails Kenntnis nehmen zu können. B, der sich über seine Rechte nicht im Klaren ist, verrät den Ermittlungsbehörden bei der Wohnungsdurchsuchung, dass seine E-Mails bei einem bestimmten Provider gespeichert seien. Er weigert sich aber, sein Passwort bekannt zu geben bzw. den Zugriff auf die E-Mails zu ermöglichen. Die Ermittlungsbehörden veranlassen darauf hin, dass beim Provider ca. 2500 E-Mails von B kopiert werden und an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden. Die Entscheidung des BVerfG ist bedeutsam, weil sie höchstrichterlich die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage nach den Voraussetzungen für die vorläufige Sicherstellung, Durchsicht und Beschlagnahme von beim Provider gespeicherten E-Mails klärt. Der 2. Senat des BVerfG hat sich für die Entscheidung fast 3 Jahre Zeit gelassen. Im Ergebnis behandelt das BVerfG die Beschlagnahme von beim Provider endgespeicherten E-Mails wie die gewöhnliche Beschlagnahme von Gegenständen (§§ 94, 95, 98 StPO). Es unterscheidet sich damit von der Ansicht des Bundesgerichtshofs, der die E-Mail-Beschlagnahme den gleichen Voraussetzungen wie eine Postbeschlagnahme (§ 99 StPO; Parallelität von Realworld und Cyberspace) unterwirft wie auch von der Literatur und Rechtsprechung, die für die „Beschlagnahme“ von E-Mails beim Provider die erhöhten Voraussetzungen einer Telekommunikationsüberwachung (Vorliegen einer sogenannten Katalogtat, § 100a StPO) verlangen.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05 – 1 BvR 1254/07

Die Entscheidung zum automatischen Kennzeichenscanning und die Entscheidung zur Online-Durchsuchung sind die Cyberlaw-Highlights in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in 2008. Mit dieser Entscheidung ist der Versuch gescheitert, anlasslose und massenhafte Kennzeichenerhebungen und –abgleiche mit nicht konkret definierten Fahndungsbeständen durchzuführen. Bereits jetzt (11/2009) ist abzusehen, dass das Bundesverfassungsgericht noch einmal über das Kfz-Scanning entscheiden wird, weil Verfassungsbeschwerden gegen andere Landesgesetze erhoben wurden (heise online vom 30.11.2009: Verfassungsbeschwerde gegen Kfz-Scanning in Baden-Württemberg).
Für Experten (FEX) hervorzuheben ist, dass das Bundesverfassungsgericht einen zentralen Aspekt des traditional law vernachlässigt – nämlich die Frage der Bundes- und/oder Landeskompetenz für automatisiertes Kennzeichenscanning. Für Interessierte (FINT) ist des Weiteren darauf hinzuweisen, dass die Kompetenzfrage bei einem weiteren Cyberlaw-Projekt – der Prüfung des Zugangserschwerungsgesetzes – zu beantworten sein wird (heise online vom 28.11.2009: Bundespräsident will Zugangserschwerungsgesetz überprüfen).