CyLaw-Report XXX: „Datenschutz als Tatenschutz – eine weitere Perspektive zur Vorratsdatenspeicherung“

Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (ECHR) im Fall K.U. gegen Finnland vom 02.12.2008, Az.: 2872/02

Cyberbullying“ oder „Cybermobbing“ oder „Cyberstalking“ – also die Nutzung der Publikations- und Kommunikationsfunktionen des Internets zur Diffamierung und Belästigung von Menschen – hat in den USA bereits mindestens ein Todesopfer gefordert, nämlich Megan Meier aus Missouri. Die Dreizehnjährige nahm sich das Leben, nachdem sich ihr virtueller „Internetfreund“ (hinter dem sich unter anderem die Mutter einer „Freundin“ verbarg) auf Myspace von ihr abgewandt und befunden hatte, dass „die Welt ohne sie ein besserer Ort sein würde“. Der Bundesstaat Missouri hat seine Gesetzgebung geändert und diese Form der elektronischen Verunsicherung für strafbar erklärt. Auch auf Bundesebene ist in den USA 2009 eine Gesetzesinitiative für einen „Cyberbullying Prevention Act“ eingebracht worden. Anhängig ist des Weiteren die Klage einer New Yorker Jugendlichen, die nach Medienberichten Facebook und Facebook-User auf 2,4 Millionen € Schmerzensgeld verklagt, weil sie durch Cybermobbing traumatisiert sei. Auf europäischer Ebene gibt es eine von der Europäischen Kommission unterstützte „Selbstverpflichtung“ von Social-Network-Betreibern – die „Safer Social Networking Principles for the EU“. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Cyberbullying eine derzeit noch nicht befriedi-gend bewältigte Herausforderung des Cyberspace ist. Umso wichtiger ist aus Sicht der Betroffenen, dass ermittelbar ist, wer sie diffamiert und der Fall „K.U. gegen Finnland“ hat die Beantwortung dieser Frage zum Gegenstand. Wenn ein Provider Verkehrs- und Bestandsdaten speichert – muss er dann Strafverfolgungsorganen die Identität des Rechtsverletzers preisgeben oder wird dessen Datenschutz zum Tatenschutz? Dabei sind zwei Fragen zu unterscheiden:

Scheitert der Auskunftsanspruch daran, dass der Provider Verkehrsdaten technisch nicht speichert?

Das Szenario von „K.U. gegen Finnland“ zeigt, dass eine unterbliebene Speicherung von Verkehrsdaten, die im Fall der Rechtsverletzung mit Bestandsdaten verknüpft werden können, die Opfer von Cyberbullying rechtlos stellen würde. Dass es inzwischen in Deutschland Provider gibt, die Verkehrsdaten nicht mehr zu Abrechnungs- oder Diensteerbringungszwecken speichern,kann einer Entscheidung des OLG Frankfurt entnommen werden. Anschließend stellt sich die Frage:

Wenn diese Verkehrsdaten gespeichert werden,
sind sie dann in Verbindung mit Bestandsdaten Gegenstand eines staatlichen Auskunftsanspruchs (für K handelten die Polizei und Staatsanwaltschaft)?

Beide Fragen sind nach hier vertretener Meinung aus der Sicht der Opfer untrennbar miteinander verbunden. Was nutzen Auskunftsrechte, wenn die Provider aus technischen Gründen keine Auskunft mehr geben können? Anderer Ansicht ist allerdings der Europäische Gerichtshof, der in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung die Speicherung strikt von der Nutzung der Daten trennt. Anderer Ansicht sind ebenfalls die Verfassungsbeschwerdeführer gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG), die durch ihren Anwalt vortragen lassen, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (ECHR) in „K.U. gegen Finnland“ kein Argument für die flächendeckende Vorratsdatenspeicherung sei: Noch weitergehend zeigt eine inzwischen zurückgenommene Klage in den USA, dass – ungeachtet der Frage des „Obs“ der technischen Speicherung der Daten und deren Rechtmäßigkeit – die Verweigerung der Auskunft jedenfalls im US-amerikanischen Recht als Ausprägung der verfassungsrechtlichen Meinungsfreiheit und des bundesgesetzlichen Datenschutzes gefordert sein könnte. Ein Bürgermeister einer Stadt (Larry Dominick) fühlte sich durch sein – nicht von ihm erstelltes – Profil auf Myspace in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und verklagte Myspace auf Auskunft über die Identität des Profilerstellers. Nach einem amicus curiae Brief der Electronic Frontier Foundation nahm er seine Klage zurück. Festzuhalten ist, dass die Fragen

welche Daten müssen etwa bei social networks (Ausprägungen des so gennannten Web 2.0) erhoben und gespeichert werden?
welche Daten dürfen erhoben und gespeichert werden?
unter welchen Voraussetzungen muss an wen Auskunft worüber erteilt werden?
unter welchen Voraussetzungen darf keine Auskunft erteilt werden (Recht auf (partielle) Anonymität im Cyberpace)?

einer eingehenden rechtlichen, rechtswissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion bedürfen, um eine rechtfertigbare Abwägung von Persönlichkeitsrechten der Opfer mit den Persönlichkeitsrechten der Täter und vielleicht ihrem Recht auf (anonyme) Äußerungsfreiheit im Netz präsentieren zu können.