CyLaw-Report XXXII: „Vermummung bei einer Demonstration aus Angst vor (Cyber)Bullying durch die Demonstranten“

KG Berlin, Urt. v. 07.10.2008 – Az.: 1 Ss 486/07; AG Berlin-Tiergarten, Urt. v. 30.08.2007 – Az.: (257 Cs) 81 Js 1217/04 (1143/04); LG Hannover, Urt. v. 20.01.2009 – Az.: 62 c 69/08

Dieser Cylaw-Report stellt die Frage, ob das Vermummungsverbot (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 17 a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG) im Versammlungsrecht Ausnahmen kennt. Die Entscheidungen des Amtsgerichts (AG) Tiergarten aus dem Jahr 2005 und des Kammergerichts (KG) Berlin aus dem Jahr 2008 behandeln den Fall einer Demons-trantin, die sich an einer Gegendemonstration gegen eine NPD-Demonstration beteiligt. Wegen der Befürchtung, dass ihre Identität von Teilnehmern der NPD-Demonstration festgestellt, sie fotografiert wird und diese Fotos evtl. im Internet veröffentlicht werden, vermummt sich die Demonstrationsteilnehmerin mit einer Kapuze und einem Schal. Hervorzuheben ist, dass sich die Demonstrationsteilnehmerin in dem Berliner Fall gegenüber den Polizeibeamten nicht vermummt hat. Nur für den Zeitraum, in dem die NPD-Demonstration an der Gegendemonstration vorbeizog, vermummte sie sich. Insgesamt handelt es sich im Berliner Fall um die eher abstrakte Gefahr, dass Gegendemonstranten von NPD-Demonstranten identifiziert, fotografiert und diese Fotos im Internet veröffentlicht werden. Demgegenüber behandelt die Entscheidung des LG Hannover eine antifaschistische Gegendemonstrantin, die nachweisen kann, dass die in Berlin „nur“ befürchteten Konsequenzen einer Identifizierung durch den politischen Gegner in ihrem Fall konkret eingetreten sind. Die Schülerin A wird infolge ihre Teilnahme an Demonstrationen im Cyberspace und in der Realworld von Neonazis gemobbt. Sie will deshalb an Demonstrationen nur noch teilnehmen, wenn sie ihre Identität durch Vermummung schützen kann. Das Schutzbedürfnis wird mit (Cyber)Bullying begründet – also dem Mobben eines Menschen im Cyberspace und in der Realworld. So wurde ein Foto von der Antifaschistin A auf Internetseiten ihrer politischen Gegner, der Neonazis, ohne ihre Einwilligung veröffentlicht. Das Foto wurde auf einem in Südamerika liegenden Server hinterlegt. Dort wurde dann gegen sie „gehetzt“. Überdies erhielt sie in der Folge E-Mails mit dem Inhalt: „man werde auf einen Kaffee rumkommen und sie trösten“. Zudem verteilten Anhänger der rechten Szene vor ihrem Elternhaus und an die Nachbarn Flugblätter. Diese hatten den Titel: „Vorsicht Rotfaschisten“ und forderten dazu auf, solchen „gewalttätigen Linksfaschisten“ wie der A keinen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden Fotos von der A von der Festplatte ihres Computers mittels eines sogenannten „Trojaners“ erlangt und auf der besagten Internetseite veröffentlicht.
Auf der einen Seite dient das Vermummungsverbot der Identitätsfeststellung von Demonstrationsteilnehmern und damit der Entmutigung gewalttätiger Ambitionen. Auf der anderen Seite führt das Vermummungsverbot im Fall der A dazu, dass sie faktisch schutzlos neuen globalen Veröffentlichungen, die vom Ausland ausgehen, ausgesetzt ist. Wegen dieses Einschüchterungseffekts besteht die Gefahr, dass sie ihr Versammlungs-grundrecht (Art. 8 GG) nicht mehr wahrnimmt. Darüber hinaus verdeutlicht der Sachverhalt dieses Cylaw-Reports, dass die Veröffentlichung von Menschen im Cyberspace (hier Internet) Menschen zur Verfolgung von Hybrid-Strategien motiviert. Weil A sich nicht effektiv gegen die Veröffentlichung ihres Bildes im Internet wehren kann (Server im Ausland), verändert sie ihr Verhalten in der Real-World und beansprucht eine Ausnahme vom traditional law der Real-World – dem versammlungsrechtlichen Vermummungsverbot.