CyLaw-Report XXVII: „Zu Art. 10 GG bei der „Beschlagnahme“ von E-Mails auf dem Mailserver des Providers und beim Zugriff des Arbeitgebers auf E-Mails des Arbeitnehmers“
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 16.06.2009 – 2 BvR 902/06, des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Kassel vom 19.05.2009 – 6 A 2672/08.Z und des Verwaltungsgerichts (VG) Frankfurt vom 06.11.2008 – 1 K 628/08.F
Im Sachverhalt der Entscheidung des BVerfG nehmen die Ermittlungsbehörden Zugriff auf E-Mails, die nicht auf einem Rechner des Durchsuchten, sondern nur beim Provider gespeichert sind. Die Herrschaft des E-Mail-Account-Inhabers ist also nicht absolut, sondern von der Entscheidung des Diensteanbieters über die Preisgabe der Daten abhängig. Im Sachverhalt der Entscheidung des VG Frankfurts verlangt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) von einem Arbeitgeber, der die Privatnutzung des E-Mail-Accounts erlaubt hatte, die Vorlage der E-Mails seiner Arbeitnehmer. Auch hier behauptet der Arbeitgeber – ähnlich dem Provider – eigene Zugriffsoptionen auf die E-Mails der Arbeitnehmer zu haben und so das Andauern der in Art. 10 GG, § 88 TKG geschützten Telekommunikation.
Dieser CyLaw-Report beschäftigt sich also mit zwei E-Mail- Sachverhalten, die zunächst grundlegende Fragen zur Eröffnung des Geltungsbereichs von Art. 10 Abs. 1 GG stellen. In beiden Fällen stellt sich die Frage, wann der von Art. 10 GG geschützte Übermittlungsvorgang abgeschlossen ist. Also abstrakt formuliert: ob geteilte Zugriffsrechte zu E-Mails den Zugang von E-Mails vereiteln und der „Mitgewahrsam“ von Provider und Arbeitgeber das Fortbestehen einer in Art. 10 GG geschützten Telekommunikation begründet. Darüber hinaus enthalten die Entscheidungen wegweisende Aussagen zur Geltung des spezialgesetzlichen Zitiergebots (§ 88 Abs. 3 TKG), das verlangt, dass Befugnisnormen zur Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses dieses ausdrücklich zitieren bzw. erkennbar sein muss, dass der Gesetzgeber eine Abwägung mit Art. 10 GG vorgenommen hat.
Über die Fragen nach der Eröffnung des Geltungsbereichs von Art. 10 GG, der Reichweite des Zitiergebots des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG hinaus entwirft das BVerfG die verfassungsrechtlichen Konturen eines „Beschlagnahmerechts“ für E-Mails anhand folgenden Sachverhalts: Die Strafverfolgungsbehörden ordnen eine Durchsuchung der Wohnung des Verfassungsbeschwerdeführers B an. B selber ist nicht Beschuldigter einer Untreue bzw. eines Betrugs. Gegen ihn wird „nur“ ermittelt, weil er die zwei Beschuldigten dieser Vergehen kennt und Geldüberweisungen im Kontext des Betrugs- und Untreueverdachts über Konten erfolgten, zu denen B Zugriff hat. Bei der Wohnungsdurchsuchung wird festgestellt, dass B über einen PC verfügt. Die Ermittlungsbehörden interessieren sich für die E-Mails des B. Informationstechnologisch besteht in diesem dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegten Sachverhalt die Besonderheit, dass B seine E-Mails nicht auf dem lokalen Rechner in der Wohnung speichert, sondern die E-Mails beim Provider sowohl zwischen- als auch endgespeichert bleiben. B muss also eine Internetverbindung zum Provider herstellen, um von seinen E-Mails Kenntnis nehmen zu können. B, der sich über seine Rechte nicht im Klaren ist, verrät den Ermittlungsbehörden bei der Wohnungsdurchsuchung, dass seine E-Mails bei einem bestimmten Provider gespeichert seien. Er weigert sich aber, sein Passwort bekannt zu geben bzw. den Zugriff auf die E-Mails zu ermöglichen. Die Ermittlungsbehörden veranlassen darauf hin, dass beim Provider ca. 2500 E-Mails von B kopiert werden und an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden. Die Entscheidung des BVerfG ist bedeutsam, weil sie höchstrichterlich die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage nach den Voraussetzungen für die vorläufige Sicherstellung, Durchsicht und Beschlagnahme von beim Provider gespeicherten E-Mails klärt. Der 2. Senat des BVerfG hat sich für die Entscheidung fast 3 Jahre Zeit gelassen. Im Ergebnis behandelt das BVerfG die Beschlagnahme von beim Provider endgespeicherten E-Mails wie die gewöhnliche Beschlagnahme von Gegenständen (§§ 94, 95, 98 StPO). Es unterscheidet sich damit von der Ansicht des Bundesgerichtshofs, der die E-Mail-Beschlagnahme den gleichen Voraussetzungen wie eine Postbeschlagnahme (§ 99 StPO; Parallelität von Realworld und Cyberspace) unterwirft wie auch von der Literatur und Rechtsprechung, die für die „Beschlagnahme“ von E-Mails beim Provider die erhöhten Voraussetzungen einer Telekommunikationsüberwachung (Vorliegen einer sogenannten Katalogtat, § 100a StPO) verlangen.
Dieser CyLaw-Report beschäftigt sich also mit zwei E-Mail- Sachverhalten, die zunächst grundlegende Fragen zur Eröffnung des Geltungsbereichs von Art. 10 Abs. 1 GG stellen. In beiden Fällen stellt sich die Frage, wann der von Art. 10 GG geschützte Übermittlungsvorgang abgeschlossen ist. Also abstrakt formuliert: ob geteilte Zugriffsrechte zu E-Mails den Zugang von E-Mails vereiteln und der „Mitgewahrsam“ von Provider und Arbeitgeber das Fortbestehen einer in Art. 10 GG geschützten Telekommunikation begründet. Darüber hinaus enthalten die Entscheidungen wegweisende Aussagen zur Geltung des spezialgesetzlichen Zitiergebots (§ 88 Abs. 3 TKG), das verlangt, dass Befugnisnormen zur Durchbrechung des Fernmeldegeheimnisses dieses ausdrücklich zitieren bzw. erkennbar sein muss, dass der Gesetzgeber eine Abwägung mit Art. 10 GG vorgenommen hat.
Über die Fragen nach der Eröffnung des Geltungsbereichs von Art. 10 GG, der Reichweite des Zitiergebots des § 88 Abs. 3 S. 3 TKG hinaus entwirft das BVerfG die verfassungsrechtlichen Konturen eines „Beschlagnahmerechts“ für E-Mails anhand folgenden Sachverhalts: Die Strafverfolgungsbehörden ordnen eine Durchsuchung der Wohnung des Verfassungsbeschwerdeführers B an. B selber ist nicht Beschuldigter einer Untreue bzw. eines Betrugs. Gegen ihn wird „nur“ ermittelt, weil er die zwei Beschuldigten dieser Vergehen kennt und Geldüberweisungen im Kontext des Betrugs- und Untreueverdachts über Konten erfolgten, zu denen B Zugriff hat. Bei der Wohnungsdurchsuchung wird festgestellt, dass B über einen PC verfügt. Die Ermittlungsbehörden interessieren sich für die E-Mails des B. Informationstechnologisch besteht in diesem dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegten Sachverhalt die Besonderheit, dass B seine E-Mails nicht auf dem lokalen Rechner in der Wohnung speichert, sondern die E-Mails beim Provider sowohl zwischen- als auch endgespeichert bleiben. B muss also eine Internetverbindung zum Provider herstellen, um von seinen E-Mails Kenntnis nehmen zu können. B, der sich über seine Rechte nicht im Klaren ist, verrät den Ermittlungsbehörden bei der Wohnungsdurchsuchung, dass seine E-Mails bei einem bestimmten Provider gespeichert seien. Er weigert sich aber, sein Passwort bekannt zu geben bzw. den Zugriff auf die E-Mails zu ermöglichen. Die Ermittlungsbehörden veranlassen darauf hin, dass beim Provider ca. 2500 E-Mails von B kopiert werden und an die Ermittlungsbehörden herausgegeben werden. Die Entscheidung des BVerfG ist bedeutsam, weil sie höchstrichterlich die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage nach den Voraussetzungen für die vorläufige Sicherstellung, Durchsicht und Beschlagnahme von beim Provider gespeicherten E-Mails klärt. Der 2. Senat des BVerfG hat sich für die Entscheidung fast 3 Jahre Zeit gelassen. Im Ergebnis behandelt das BVerfG die Beschlagnahme von beim Provider endgespeicherten E-Mails wie die gewöhnliche Beschlagnahme von Gegenständen (§§ 94, 95, 98 StPO). Es unterscheidet sich damit von der Ansicht des Bundesgerichtshofs, der die E-Mail-Beschlagnahme den gleichen Voraussetzungen wie eine Postbeschlagnahme (§ 99 StPO; Parallelität von Realworld und Cyberspace) unterwirft wie auch von der Literatur und Rechtsprechung, die für die „Beschlagnahme“ von E-Mails beim Provider die erhöhten Voraussetzungen einer Telekommunikationsüberwachung (Vorliegen einer sogenannten Katalogtat, § 100a StPO) verlangen.
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Veröffentlichungsjahr: 2009 | Letzter Stand: 30.11.2009
Verfügbar unter Creative Commons Attribution Non-commercial No Derivatives, 2.5.
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